Ach, ich war doch nur am Staubwischen, und jetzt leite ich ein Unternehmen!
Nach dem Studium heiratete Sabine ihren Stefan und ging – komischerweise – nicht in ihren gelernten Beruf. Sie hatte Jura studiert, aber entschied sich für ein anderes Leben: Gemütlichkeit, Haushalt, Fürsorge. Von morgens bis abends kochte Sabine, wusch, putzte, bügelte, brachte die Kinder zur Schule, kümmerte sich um Stefan, half ihrer Schwiegermutter und kam sogar ab und zu zu ihrer eigenen Mutter, um dort die Fenster zu putzen und jede Ecke blitzblank zu machen. Ihr Leben schien simpel – doch es war voller Liebe, Hingabe und Sinn.
Alle waren zufrieden: die Kinder, Stefan, die Schwiegermutter. Alle – außer ihrer eigenen Mutter.
„Wozu hast du denn Jura studiert? Damit du bis zur Rente den Boden schrubbst?“, maulte sie.
„Mama, ich helf dir doch auch…“
„Das hab ich nie verlangt!“, konterte die Mutter.
Sabine war verletzt. Sie ging. Aber nach einer Woche kam sie wieder, mit Putzlappen und Staubsauger. So war sie nun mal erzogen worden.
Doch eines Tages war ihr Fleiß plötzlich niemandem mehr etwas wert.
„Sabine, ich gehe. Es gibt eine andere“, sagte Stefan, ohne sie anzusehen.
„Ist sie jünger?“
„Nein. In deinem Alter. Sie ist nur… anders. Als Hausfrau bist du perfekt, aber als Frau… Tut mir leid.“
„Und die Kinder? Und ich? Wohin sollen wir?“, flüsterte sie.
„Ihr bleibt hier. Ich helfe, aber nicht viel. Du wirst arbeiten müssen. Das ist richtig so.“
Sabine schrie nicht. Das lag ihr nicht. Sie sah ihm nur schweigend nach. Dann verschloss sie sich im Badezimmer und weinte, bis die Kinder schliefen.
„Was heulst du denn jetzt rum?“, donnerte ihre Mutter diesmal am Telefon. „Weg ist weg – sein Pech! Bist du keine Frau? Reiß dich zusammen! Wenn du nicht als Juristin arbeiten willst, dann mach was aus dem, was du kannst.“
„Was denn, Mama…?“
„Eröffne eine Putzfirma. Saubermachen ist deine Superkraft. Aber mach es richtig: Verträge, Werbung, Kunden.“
Sabine dachte die ganze Nacht nach. Am Morgen rief sie ihren Ex-Mann an.
„Kannst du mir… finanziell helfen?“
„Klar“, antwortete Stefan überrascht. „Ohne Rückzahlung. Als Dank für alles.“
Nach einer Woche mietete Sabine ein kleines Büro, stellte zwei Frauen ein und erledigte alle Formalitäten selbst. Die ersten Monate waren hart – kaum Anrufe, noch weniger Aufträge. Doch dann schrieb eine Kundin einen Post über sie in den sozialen Medien. Dann eine zweite. Und plötzlich ging es los wie eine Lawine.
Nach drei Monaten hatte sie zwanzig Stammkunden. Nach einem halben Jahr dreiundsiebzig.
Sie kaufte einen Firmenwagen, stellte eine Administratorin ein, engagierte eine Juristin und eine Buchhalterin.
„Sabinchen, du bist toll!“, rief Stefan sie eines Tages an. „Hab gehört, bei dir läuft’s?“
„Ja, Stefan. Muss sogar expandieren. Und – danke nochmal für den Start.“
Die Worte waren ehrlich. Sabine war wirklich dankbar – ihm, ihrer Mutter, den Kindern, deren Fragen sie aus dem gewohnten Käfig gestoßen hatten.
Ein Jahr später heiratete sie wieder. Diesmal einen Mann, der ihre Entscheidungen respektierte, auf ihre Stärke stolz war und sie als Frau schätzte.
Heute leitet Sabine eine Reinigungsfirma mit makellosem Ruf, hat ein sicheres Einkommen und festen Boden unter den Füßen. Und alles begann damit, dass sie eines Tages aufstehen, nicht den Boden, sondern ihre Tränen wegwischen – und den ersten Schritt machen musste.