Der Schönheitssalat oder wie wir lästige Gäste loswurden
Andreas kam von der Arbeit nach Hause, und wie üblich empfing ihn im Flur der Duft des Abendessens – im Backofen schmorte langsam ein Braten, während Vera in der Küche Gemüse für den Salat schnippelte. Er trat näher, atmete den Geruch ein und lächelte:
„Mmm, das riecht lecker…“
„Für die Gäste mache ich mir Mühe“, antwortete sie mit einem leichten Lächeln.
„Für meine Verwandten?“, fragte er nach, aber in seiner Stimme lag bereits Abneigung.
„Ja klar, du hast doch gesagt, sie schauen heute vorbei…“
„Am besten hättest du gar nichts gekocht“, unterbrach er sie unvermittelt.
„Wieso? Es sind doch deine Leute, das wäre doch unhöflich“, erwiderte Vera verwirrt.
„Hör mir zu, du wirst es schon verstehen“, sagte Andreas bedeutungsvoll und ging weg.
Ein paar Stunden zuvor hatte seine Mutter mit einer „Neuigkeit“ angerufen: Seine Nichte Anna und ihr Mann Niklas hatten eine Wohnung mit Hypothek direkt zwei Häuser weiter gekauft. Während der Renovierung wollten sie bei Andreas und Vera duschen. Obwohl er Anna seit Kindertagen nicht mochte, willigte er ein, warnte seine Frau aber, dass niemand sie zum Essen eingeladen habe.
Doch Vera, gut erzogen, deckte trotzdem den Tisch.
„Ich verstehe nicht, warum du so skeptisch bist“, zuckte sie mit den Schultern. „Sie wollen doch nur duschen.“
„Wart’s ab“, antwortete er nur. „Erinnerst du dich an meine Tante Liesel?“
Vera erinnerte sich. Damals im Dorf waren sie vorbeigekommen, um Vorhänge abzugeben, und Tante Liesel hatte ihnen, mit übertriebener Herzlichkeit, gestern übrig gebliebenen Hirsebrei in einem rußigen Topf angeboten – während im Nachbarraum ein gedeckter Tisch mit Kuchen stand. Da war ihr alles klar geworden.
Nun klopfte es an der Tür. Auf der Schwelle standen Anna und Niklas.
„Hallo!“, zwitscherte sie. „Du musst Vera sein? Die Frau meines Cousins?“
Schon nach wenigen Minuten hatten sie das Wohnzimmer in Beschlag genommen, musterten die Wohnung und spähten in die Zimmer. Vera schloss diskret die Schlafzimmertür, als Anna danach griff.
„Wolltet ihr nicht duschen?“, erinnerte Andreas.
Nach der Dusche hatten die Gäste keine Eile zu gehen. Stattdessen ließen sie sich am Tisch nieder und aßen alles bis auf den letzten Krümel auf. So ging es am nächsten und übernächsten Tag weiter. Anna kritisierte ohne Scheu das Essen:
„Brokkoli? Esst ihr das wirklich? Kann ich noch ein Schnitzel haben? Und Niklas auch.“
„Spaghetti ohne Fleisch – was soll das denn sein?“, schnaubte sie am vierten Tag.
Dann hörte Vera Niklas erwähnen, dass bei ihnen schon die Wasserrohre verlegt seien. Anna machte nur große Augen:
„Naja… die Duschbrause fehlt noch“, presste sie hervor.
Nachdem sie gegangen waren, wandte sich Vera zu ihrem Mann:
„Ich bin müde. Das ist kein Essen mehr – das ist ein Lieferservice.“
Andreas nickte nur:
„Wir müssen uns was einfallen lassen.“
Und Vera hatte eine Idee.
Am nächsten Tag, als die Gäste wieder am Tisch saßen, brachte sie eine große Schüssel mit trockenen Haferflocken, geriebenen Äpfeln und Honig.
„Das ist ein französischer Schönheitssalat!“, verkündete Vera froh. „Fünf Löffel Haferflocken, mit kochendem Wasser übergießen, Äpfel mit Zitronensaft dazu und einen Löffel Honig. Super gesund! Seitdem essen wir das jeden Abend – gut für Haut und Haare.“
Anna versuchte zu kauen, aber die Begeisterung blieb aus. Nach fünfzehn Minuten verabschiedeten sie sich bereits und ließen den Salat fast unberührt zurück.
Am nächsten Morgen rief Anna an:
„Esst ihr heute wieder diesen Salat?“
„Natürlich. Wir entgiften!“, antwortete Andreas fröhlich. „Hör mal, falls ihr vorbeikommt, bringt doch etwas Kassler mit, ich kann den Hafer kaum noch sehen…“
„Nein, nein, wir kommen nicht mehr. Wir haben jetzt Wasser“, antwortete Anna knapp und legte auf.
Ein paar Tage später rief Andreas’ Mutter an:
„Andreas, Liesel sagt, Vera würde dich nicht richtig versorgen…“
„Mama, ich bin satt, gesund und glücklich“, erwiderte er lachend. „Und außerdem – wir ziehen bald um. Die Wohnung steht zum Verkauf. Also neues Leben, neues Glück. Und kein Haferbrei kann es mehr ruinieren.“