Ein unbedachtes Streifen der Vergangenheit

Lena hatte eine duftende Pilzsuppe gekocht. Stefan aß genüsslich zu Abend und ließ sich auf dem Sofa vor dem Fernseher nieder. Plötzlich klingelte das Telefon. Er griff zum Hörer.

„Dein Vater ist schwer krank…“ Die aufgeregte Stimme seiner mother drang an sein Ohr. „Er kommt ins Krankenhaus. Komm schnell…“

Ohne zu zögern packte Stefan seine Sachen und fuhr noch am selben Abend allein in seine Heimatstadt. Lena blieb mit der kleinen Tochter Emma zurück – das Mädchen war krank, und was sollten sie schon im Krankenhaus?

Stefans Mutter verließ kaum die Seite ihres Mannes. Stefan verbrachte die Tage allein und schlenderte abends durch die Straßen. Nach einem Krankenhausbesuch ging er zu Fuß nach Hause, den herbstlichen Wind genießend. Plötzlich blieb eine Frau mit Kinderwagen vor ihm stehen. Stefan starrte – und erstarrte. Vor ihm stand Katharina – seine erste Liebe aus Schulzeiten.

Er hatte sie vom ersten Blick an geliebt. Still, zerbrechlich, fast durchscheinend. Beim Weihnachtsball hatte er sie, zitternd vor Aufregung, zum Tanz aufgefordert. Sie war unerreichbar gewesen. Seine Traumfrau. Doch seine Eltern missbilligten diese Liebe. Besonders die Mutter. „Zu dünn, zu weltfremd“, hatte sie gesagt. „Keine Ehefrau, sondern ein Rätsel.“

Sie und sein Vater bestanden darauf, dass Stefan in einer anderen Stadt studierte. Er gehorchte. Im Studentenwohnheim hing ein vergrößertes Foto von Katharina an der Wand. Doch das Leben ging weiter. Andere Mädchen, neue Gefühle, das Erwachsenwerden. Dann kam Lena. Mit ihr war alles leicht, klar und beständig. Sie heirateten, bekamen eine Tochter. Stefan liebte diese Familie – sein Rückhalt, seine Freude.

Und nun stand Katharina wieder vor ihm. Sie war genauso wie damals – melancholisch, zierlich. Nur jetzt mit einem Kind. Alleinerziehend. Stefan spürte es sofort – an ihrer Stimme, ihrem Blick. Sein Herz zog sich zusammen.

Sie sprachen, als wäre kein Tag vergangen. Er begleitete sie nach Hause, trug das Kind die Treppen hoch. Sie lebte immer noch in der elterlichen Wohnung. Zum Abschied lud sie ihn ein, vorbeizukommen.

Am nächsten Morgen brachte Stefan seine Mutter ins Krankenhaus, kaufte einen Strauß Rosen und fuhr zu Katharina. Sie empfing ihn ruhig, stellte die Blumen ins Wasser, bot Tee an. In der engen Küche trafen sich ihre Blicke. Er beugte sich vor – und ihre Lippen berührten sich. Sie wich nicht zurück. Sie umarmte ihn. Für einen Moment vergaß Stefan alles.

Doch dann weinte das Kind. Katharina stürmte aus der Küche. Stefan stand allein da, verwirrt.

„Ich gehe“, sagte er tonlos und griff nach der Tür.

„Sie pennt früh ein… Komm nach zehn“, flüsterte Katharina.

Es klang wie eine Einladung. Eine Chance. Und wie Gefahr. Draußen auf der Straße tobten seine Gedanken. Früher hätte er sich solche Worte erträumt. Jetzt wusste er: Wenn er zurückkehrt, ändert sich alles. Er war erwachsen. Er hatte eine Familie. Und das Schuldgefühl gegenüber Lena wurde fast unerträglich.

Am Abend sagte seine Mutter, sein Vater erhole sich – er könne nach Hause fahren. Stefan küsste seinen Vater zum Abschied, versprach, bald mit der ganzen Familie zu kommen, und fuhr noch in der Nacht los. Im Zug fand er lange keinen Schlaf. Er sah Katharina vor sich, wie sie am Fenster saß und wartete. Doch er redete sich ein: Es war kein Betrug. Nur eine Erinnerung an den Jungen, der sie einst so leidenschaftlich geliebt hatte.

Früh am Morgen kam er heim. Lena machte Haferbrei, überrascht, aber glücklich. Emma stürzte mit einem Freudenschrei auf ihn zu: „Papa!“ Und Stefan verstand – das hier war sein wirkliches Leben.

Zu Weihnachten fuhren sie zu dritt zu seinen Eltern. Beim Spaziergang trafen sie Katharina wieder. Stefan grüßte lächelnd – und eilte seinen Mädchen hinterher.

Er verstand nicht mehr, warum er Katharina so geliebt hatte. Wieso diese Schulschwärmerei so mächtig war.

Nur eines wusste er: Gut, dass er damals nicht blieb. Dass er nicht verriet. Denn Katharina war nur ein heller Schatten der Jugend. Die wahre Liebe aber wartete zu Hause.

Оцените статью
Ein unbedachtes Streifen der Vergangenheit
Er wurde ihr Vater, obwohl er nicht verwandt war – und niemand sonst bekam diesen Namen.