*„Hausgemachte Buletten und etwas mehr“: Wie ein zufälliger Kunde ihre Einsamkeit in Hoffnung verwandelte*
Nadine trug schwere Tabletts mit Sülze aus dem Lagerraum, in Gedanken versunken wie immer. Sie arbeitete seit Jahren in der Feinkostabteilung eines Supermarkts am Rande von Leipzig. Alles war eingespielt: der Heimweg, der abgetragene Kittel im Spind, die vertrauten Gerüche von Frikadellen und gefüllten Paprikaschoten, die sich sogar in ihren Mantel eingebrannt hatten. Und die Einsamkeit, an die sie sich fast gewöhnt hatte.
„Nadine, deiner ist da!“, flüsterte Lisa, ihre jüngere Kollegin, grinsend und deutete zur Theke. „Da vorne, sucht dich schon wieder mit den Augen.“
„Ach, Quatsch, Lisa… Der ist nur einsam. Und ein bisschen älter“, murmelte Nadine, obwohl ihr Herz plötzlich verräterisch stach.
„Bedien ihn doch mal richtig“, zwinkerte Lisa. „Schau ihn dir an, definitiv unverheiratet. Kein Ehering. Und er kann die Augen nicht von dir lassen. Vielleicht ist es Schicksal?“
Nadine winkte nur ab. Wohl kaum — mit zweiundvierzig, einer nicht mehr ganz jugendlichen Figur und einem Job hinter der Fleischtheke? Wer heiratete denn so jemanden? Lisa war neunundzwanzig, schlank, mit perfektem Haar und lackierten Nägeln. Die Männer standen Schlange.
Und er… Er wartete tatsächlich in der Schlange, wie immer. Dann trat er an Lisas Kasse, bestellte seine Lieblingsbuletten und Rippchen. Für einen Sekundenbruchteil trafen sich ihre Blicke. Plötzlich war ihr heiß — so viel sehnsüchtige Zärtlichkeit lag in seinen Augen, versteckte Einsamkeit, eine Wärme, die er sich nicht zu zeigen traute.
Ein paar Tage vergingen. Das Wetter schlug um, es wurde kälter, Lisa fiel mit einer Erkältung aus, und Nadine schob wieder eine Schicht mit Gertrud, einer strengen Frau mit eiserner Stimme und dem Blick einer Kassiererin aus den 80ern.
Dann — da war er wieder. Im grauen Mantel, leicht gebeugt. Er suchte mit den Augen jemanden. Natürlich Lisa, dachte Nadine. Doch dann knurrte Gertrud:
„Mein Herr! Halten Sie die Schlange nicht auf, hinter Ihnen wird es eng!“
Nadine stellte schnell die Sülze ab, trat zu ihm:
„Lisa ist krank. Kommt erst nächste Woche wieder“, flüsterte sie. Und dann, für alle hörbar:
„Wie immer? Buletten, Rippchen? Oder vielleicht noch ein paar Maultaschen?“
Der Mann sah sie überrascht an:
„Sie wissen noch, was ich nehme?“
„Natürlich“, errötete Nadine. „Sie sind ja Stammkunde.“
Er senkte den Blick, dann schaute er wieder auf — zaghaft, aber bestimmt:
„Ich hatte immer gehofft, zu Ihnen zu kommen. Aber lande immer bei dem Mädchen. Fast ein bisschen traurig…“
„Woher wissen Sie meinen Namen?“, hauchte Nadine verwirrt.
„Ihr Namensschild. ‚Nadine‘. Es passt zu Ihnen.“
Gertrud schnaubte:
„Mein Herr! Kaufen Sie nun etwas?“
„Ja, ja. Hausgemachte Buletten, bitte.“ Er zögerte. „Vielleicht probiere ich irgendwann auch echte. Von einer Frau… von Nadine zum Beispiel. Falls Sie nicht verheiratet sind — darf ich Sie nach der Schicht abholen? Ich wohne gleich um die Ecke. Begleite ich Sie?“
Nadine beinahe hätte sie das Tablett fallen lassen. Ihr Herz hämmerte, als wäre sie achtzehn. Sie nickte nur und reichte ihm die Tüte:
„Begleiten Sie mich… wenn Sie wollen.“
„Ich heiße Friedrich. Bis heute Abend, Nadine?“
Den ganzen Tag schwebte sie. Gertrud schüttelte nur den Kopf:
„Nadinchen, bist du krank? Deine Wangen sind so rot wie bei einem Backfisch! Hoffentlich lässt du mich nicht hängen, ich will hier nicht für zwei schuften!“
„Alles gut, Trudchen, wirklich“, lächelte Nadine, den Glanz in ihren Augen nicht verbergend.
Nach der Schicht zog sie sich um, strich sich noch schnell über die Lippen. Draußen wartete Friedrich bereits.
„Nadine, gehen wir ein bisschen spazieren? Oder… ins Kino?“
Sie schlenderten am Elsterufer entlang, Matsch unter den Füßen, feuchter Schnee. Dann fragte er zögernd:
„Oder… kommen Sie zu mir? Tee trinken, uns aufwärmen?“
„Aber was denken Sie denn…“, zögerte sie. „Wir kennen uns ja kaum.“
„Wie ‚kaum‘? Ich komme seit einem Jahr nur wegen Ihnen in die Feinkost. Sehe, wie Sie arbeiten. Wie aufmerksam Sie sind, wie lieb. Wie respektvoll Sie mit den Älteren umgehen, nie unfreundlich werden. Ich kenne Sie schon lange. Und Sie mich doch auch, oder?“
Da konnte Nadine nicht „nein“ sagen. In seiner Wohnung war es schlicht und gemütlich. Er kochte Tee, deckte Pralinen auf. Alles wirkte wie zu Hause. Und als es draußen zu schneien begann, sagte er plötzlich:
„Nadinchen, bleiben Sie doch. Ich schlafe in der Küche. Gehen Sie nicht allein in dieses Wetter. Und… wozu allein sein?“
Sie sah sich um. Dann ihn an. Und wusste — sie wollte nicht gehen. Sie wollte, dass dieses Gefühl von Wärme blieb.
„Ich bleibe, Friedrich“, flüsterte sie.
Er machte es sich in der Küche gemütlich. Sie legte sich aufs Sofa. Doch beim Morgengrauen wachten sie zu zweit auf — denn Einsamkeit war nicht länger ihr Begleiter.
Als Lisa zurückkam und sah, wie Friedrich Nadine an der Tür empfing, schnaubte sie nur:
„Na, du bist ja fix! Ich war ein bisschen krank — und schon hast du dir einen Mann geschnappt! Dabei habe ich immer die Nase gerümpft…“
Doch in ihrer Stimme lag nur gutmütiger Neid.
Denn Glück ist unverkennbar. Glückliche Menschen strahlen. Und mit ihnen ist es immer warm.