Ein Geschenk an der Bushaltestelle: Wie eine Winterjacke ihr Leben veränderte
Tina stand weinend an der Bushaltestelle, den Sohn im Arm und den Mann an ihrer Seite. Gerade war sie von ihrem Bruder zurückgekommen, wohin sie nach einem Streit geflohen war. Ihr Herz war schwer, alles tat weh. Doch dann zog Klaus, ihr Mann, ihr sanft den Schal zurecht und sagte plötzlich:
„Ich hab was für dich.“
„Was denn für ein Geschenk?“, schniefte Tina verblüfft.
„Du bist weggerannt und hast es nicht mitgenommen… Zuhause siehst du’s.“
Erst einen Tag zuvor hatte Tina im Einkaufszentrum gestanden, zusammengesackt unter einer alten, schweren Daunenjacke, voller Erinnerungen, erschöpft und ratlos. Sie suchte ein Gesetz für ihre Mutter – jene Frau, die nie zufrieden war, immer verglich, immer den Bruder bevorzugte.
Seit sie denken konnte, war Tina nur die Zweitbeste. Stefan bekam das ferngesteuerte Auto, sie eine Puppenwiege. Ihm die Autoschlüssel, ihr ein billiges Armband. Selbst Lob war für sie knapp. Die Mutter schwärmte vom Sohn, ohne zu merken, dass die angeblich von ihm geschenkte Vase längst dritte Hand war.
Tina ertrug es. Mit sechzehn fragte sie schließlich verzweifelt: „Warum liebst du Stefan mehr?“ Die Antwort brannte sich ein:
„Er ist ein Junge, die brauchen mehr Aufmerksamkeit.“
Dabei hatte ihr Vater, auch ein Mann, in diesem Haus kaum Liebe erfahren – still, grau, längst aufgegeben.
Tina lebte zwischen Mauern der Nichtgeliebtwerdens. Als sie heiratete, hoffte sie auf Wärme. Klaus war einfach, ehrlich, ein Arbeiter. Seine Mutter war gestorben, als er drei war – er kannte mütterliche Zärtlichkeit nicht.
Doch Tina kämpfte weiter. Sie kaufte teure Geschenke, bemühte sich. Zum Geburtstag ihrer Mutter pustete sie fast ihre Kreditkarte für Rubinhoopearrings durch, nur damit der Bruder einfache Silberstecker brachte… die die Mutter nie wieder ablegte. Ihr teures Geschenk blieb ungeöffnet.
„Ich hab Angst, es zu verlieren…“, sagte die Mutter achselzuckend, als Tina fragte.
Da kochte es in ihr. Nicht Traurigkeit. Wut. Reine, heiße Wut. Doch sie schluckte sie wieder runter. Bis sie abends explodierte – schrie Klaus an wegen zu heiß gewaschener Jeans, den Sohn wegen Spielzeugchaos. Ihr Mann versuchte zu beruhigen:
„Ich hab doch gekocht, den Kleinen abgeholt…“
„Du kriegst ja sonst nichts hin!“, fuhr sie ihn an, knallte die Tür zu und verschwand.
Am Ende landete sie beim Bruder. Und fand ausgerechnet dort Wärme – Stefans Freundin Lena, selbst gemachte Maultaschen, nette Worte und… die Wahrheit.
Beim Tee erzählte Stefan, was sie nie geahnt hatte. Daniel, ein Bauarbeiter, mit dem die Mutter einst etwas hatte.
„Weißt du, ich bin nicht sein Sohn. Das wusste ich immer. Sie schleppte mich überall hin, sogar als Daniel sie abblitzen ließ. Sie liebt nicht mich, sondern ihn. Durch mich.“
In der Kälte, unter den Sternen, drehte sich Tinas Welt um. Plötzlich sah sie ihr Leben klar, ohne Illusionen.
Auf dem Rückweg rief sie Klaus an:
„Ich… hab fast die ganze Kreditkarte leer gemacht. Ohrringe für Mama…“
„Ich weiß“, antwortete er.
„Du weißt es?“
„Du hast keine Ohrringe gekauft. Du hast Liebe gekauft. Die gibt’s nicht zu kaufen. Wäre sie im Angebot, hätt’ ich längst alles leer gekauft. Für mich. Und für Benni.“
Wieder kullerten Tränen.
„Ich liebe euch so sehr… Es tut mir leid…“
„Meine kleine Dussel. Ich hol dich ab.“
An der Haltestelle warteten sie zu dritt. Benni lachte, die Wangen rot vor Kälte. Klaus richtete ihr den Schal.
„Soll ich morgen Kuchen backen?“, flüsterte Tina.
„Gern. Und ich hab ein Geschenk. Zuhause.“
Sie hatte Angst. Vielleicht eine Scheidungspapiere? Doch daheim… lag eine neue Daunenjacke. Dunkelblau. Schlicht. Kein Markenzeichen. Aber sauber.
„Damit du nicht bis zur Rente die alte trägst, nur um Mutters Gefühle zu schonen“, grUnd zum ersten Mal spürte Tina, dass sie nicht mehr in der alten Jacke steckte – sondern in einem neuen Leben.