Herbst der Abschiede: Wie alles auf der Kippe stand

**Der Herbst des Abschieds: Wie Jürgen fast alles verlor**

Jürgen fuhr auf das Landhaus, nachdem er wieder einmal heftig mit seiner Frau gestritten hatte. Er wollte Ruhe. Er wollte verschwinden. Das Haus im Dorf empfing ihn mit Feuchtigkeit, Stille und Kälte. Er schaltete die Heizung an, wärmte die Pizza vom vergangenen Wochenende auf, aß hastig und fiel, ohne sich auszuziehen, auf das knarrende Bett.

Am Morgen wachte er mit einem dumpfen Druck auf der Brust und Schwäche im Körper auf. Sein Kopf schmerzte. Auf dem Handy blinkte eine Nachricht. Es schrieb Sophia – ihre gemeinsame Freundin:

*„Marina ist irgendwohin abgereist. Ich sah, wie sie mit einem fremden Mann und einem Koffer ins Auto stieg. Tut mir leid, ich konnte nicht schweigen.“*

Jürgen schaltete das Handy aus. Er hatte keine Kraft, nachzudenken. Er versank erneut in einen fiebrigen, wirren Schlaf.

…Durch das Fieber hindurch erschienen ihm Gesichter. Vertraute. Familienmitglieder. Die, die längst nicht mehr da waren. Der Vater – ernst, wortkarg. Die Großmutter – mit einer Decke in den Händen. Onkel Alexander – der Frohnatur, der zusammen mit dem Vater beim Motorradunfall ums Leben kam. Cousine Miriam – zu früh gegangen. Sie alle saßen an einem Tisch, der wie für ein Fest gedeckt war. Doch ihn, Jürgen, schienen sie nicht zu bemerken. Er fühlte sich fremd, selbst unter den Seinen.

Er wartete auf eine – die Mutter. Die Mutter, die ihn nach dem Tod des Vaters so gut es ging gehalten hatte. Doch auch sie war gegangen, bevor er auf eigenen Beinen stand. Und nun blieb er allein zurück in dieser Welt. Zu allein.

Plötzlich – die Stille wurde durch ein hartnäckiges Klopfen an der Tür durchbrochen.

Jürgen wollte nicht aufstehen. Doch schließlich raffte er sich auf. Öffnete.

Auf der Schwelle stand Marina. Und ihr Cousin Markus.

*„Wie seid ihr hierhergekommen?“,* brachte Jürgen nur hervor, überrascht von ihrem Anblick.

*„Wo sonst sollte man dich suchen?“,* sagte Marina unsicher und schaute ihm in die Augen. *„Dein Telefon ist aus, die Wohnung leer. Ich hatte Angst.“*

*„Ich bin krank“,* murmelte er. *„Fieber.“*

*„Das sieht man!“,* mischte sich Markus ein. *„Ich gehe in die Apotheke. Marina, mach ihm einen Tee.“*

Als Markus gegangen war, setzte sich Marina neben Jürgen und berührte seine Stirn:

*„Verzeih mir, Jürgen. Ich bin zu weit gegangen. Der Streit wegen Gabi… ich konnte nicht damit umgehen. Ich wollte nicht deine Sachen, ich wollte reden. Aber du warst nicht da. Ich dachte, du bist absichtlich gegangen. Die Wut übermannte mich…“*

*„Es ist gut“,* sagte er. *„Hol mir bitte etwas Wasser, ja?“*

Sie eilte in die Küche, kam mit Tee und Himbeermarmelade zurück. Sie huschte umher, richtete die Decke. Er schaute nur und schwieg.

Markus kehrte mit Medikamenten zurück und sagte scherzhaft: *„So, jetzt vertragt euch wieder. Ich gehe in den Garten, frische Luft schnappen.“*

Marina erzählte, dass Gabi und ihr Mann angerufen hatten – alles in Ordnung, nur Jürgen war nicht erreichbar. Er schaltete das Telefon ein – tatsächlich, Dutzende verpasste Anrufe.

Bevor er den Tee trank, löschte er Sophias Nachricht. Und schrieb ihr:
*„Marina und ich sind im Landhaus. Erfinde nichts dazu. Komm vorbei, wenn du willst – ich stelle dich Markus vor. Er ist frei. Einsamkeit ist eine schlechte Sache, Sophia.“*

Eine Antwort blieb aus.

Am Abend ging es Jürgen etwas besser. Sie fuhren zu zweit nach Hause. Der Koffer mit den Sachen wanderte zurück in den Schrank. Marina war da. Ihre Hände – noch immer vertraut. Er erzählte ihr von seinem Traum. Von denen, die im Fieber zu ihm gekommen waren.

Sie umarmte ihn und flüsterte:

*„Das war kein schrecklicher Traum, Jürgen. Das war Hilfe. Sie kamen, um zu sagen – du bist nicht allein.“*

Er lächelte. Schlief friedlich ein. Morgen würde er krankgeschrieben sein. Dann ein Anruf bei Gabi. Und der Sturm… er war vorüber.
Wieder kehrte Stille ins Leben ein. Eine warme. Lebendige.

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Die geheimnisvolle Besucherin aus der Vergangenheit