ICH BIN NICHT GUT GENUG FÜR DEINEN SOHN: ALLES, WAS ICH HINTER MEINEM RÜCKEN GEHÖRT HABE

Als Hanna nach Hause kam, hüllte ein drohendes Gewitter den Himmel über Berlin ein. Der Regen prasselte plötzlich nieder, als hätte jemand einen Eimer Wasser vom Himmel geschüttet. Ohne Schirm war sie innerhalb von Sekunden durchnässt. Da fiel ihr ein, dass die Wohnung ihrer Schwiegereltern nur wenige Straßen entfernt lag. „Ich warte es hier aus“, dachte sie und klopfte an der Tür. Keine Antwort. Schon wollte sie gehen, als sie bemerkte, dass die Tür einen Spalt offen stand. Sie trat ein, zog die nasse Jacke aus und hängte sie im Flur auf. Aus der Küche drangen gedämpfte Stimmen. Dann hörte sie ihren Namen.

„…und diese nervige, piepsige Stimme“, sagte Gertrud Schulze, Hannas Schwiegermutter, mit verächtlichem Unterton. „Sie passt einfach nicht zu unserem Markus. Ich hab’s ihm gesagt – er soll sich eine Frau mit Rückgrat suchen. Aber diese hier… eine Null.“

Hanna erstarrte. Ihr war, als würde sich eine eisige Faust um ihr Herz schließen. Die nassen Haare klebten ihr im Gesicht, doch sie spürte nur die Kälte – nicht vom Regen, sondern von den Worten, die sie gehört hatte.

„Die Wohnung gehört uns, sie hat nichts aus sich gemacht“, fuhr Gertrud fort. „Eine miserable Hausfrau. Kann das Kind nicht erziehen. Ich gebe ihr Ratschläge – wie man füttert, badet, ins Bett bringt – aber sie? Lächelt und macht es trotzdem falsch. So stur! Markus ist blind vor Liebe, deshalb sieht er nicht, dass sie nicht die Richtige ist. Sie gehört nicht zu uns.“

Leise, wie sie gekommen war, schlich Hanna hinaus. Der Regen trommelte noch immer auf den Asphalt, doch in ihr war es trocken – leer. Sie hatte sich so bemüht… Von ihrem ersten Besuch an, als sie noch die Fenster putzte, bevor Gertrud kam, den Kuchen backte, das gute Geschirr herausholte. Und dann, als Gertrud über die Schwelle trat, sie von Kopf bis Fuß musterte und fragte: „Hast du dir die Wohnung selbst verdient?“ „Was machen deine Eltern?“… Jedes Mal hatte Hanna geschluckt, geschwiegen, alles runtergeredet.

„Ich gehe nicht mehr zu deinen Eltern“, sagte sie abends zu Markus.

„Wie du willst“, nickte er und zog sie an sich. „Aber denk dran: Ich habe dich gewählt. Meine Mutter… sie bleibt eben meine Mutter.“

Jahre vergingen. Ihre Tochter Lina wuchs heran, besuchte die Oberstufe. Hanna machte Karriere, wurde Finanzvorstand eines großen Unternehmens. Gertrud rief selten an, blieb distanziert – doch es traf Hanna nicht mehr. Sie hatte gelernt, ohne deren Zustimmung zu leben.

Eines Tages trafen sie und Lina im Tiergarten auf Gertrud. Zu Hannas Überraschung kam die Ältere lächelnd auf sie zu.

„Hallo, ihr beiden. Darf ich mich dazu gesellen?“

Hanna nickte schweigend. Sie gingen den Weg entlang, hörten Linas fröhliches Geplapper. Plötzlich zückte Gertrud ihr Portemonnaie, als Lina ein Eis wollte.

„Ich kaufe es“, sagte Hanna.

„Ach was“, winkte Gertrud ab. „Darf ich meiner Enkelin nicht mal ein Eis spendieren?“

Während Lina genussvoll schleckte, setzten sie sich auf eine Bank. Ein unbehagliches Schweigen breitete sich aus – bis Gertrud es brach.

„Hanna… ich brauche deine Hilfe. Mit der Rente ist irgendwas schiefgelaufen, diese Formulare… ich komme nicht durch. Und Markus hat immer so wenig Zeit…“

Zum ersten Mal seit langem lächelte Hanna.

„Klar, kommen Sie vorbei. Morgen früh kümmern wir uns darum.“

„Danke, mein Kind“, seufzte Gertrud erleichtert.

Von da an änderte sich etwas. Gertrud rief öfter an. Fragte um Rat. Hörte zu. Und Hanna – wider aller Erwartung – antwortete. Denn der Groll war längst verflogen. Geblieben war nur die Gelassenheit der Jahre.

Zu Silvester fuhren sie alle zu Markus’ Eltern. Als die Frauen allein waren, sagte Gertrud plötzlich leise:

„Verzeih mir, Hanna. Ich war dumm. Ich hatte Angst, mein Sohn würde die Falsche wählen. Aber du… du bist wunderbar. Erziehst Lina gut. Passt auf Markus auf. Und ich… ich habe nur gestört.“

Hanna atmete tief ein.

„Es ist gut, Gertrud. Wirklich.“

Doch in diesem Moment spürte sie es zum ersten Mal: Jetzt gehörte sie wirklich zu dieser Familie. Nicht, weil sie sich die Anerkennung erkämpft hatte. Sondern weil sie sie nicht mehr brauchte.

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