Anja hatte den ganzen Morgen in der Küche geschuftet und Viktors Lieblingspfannkuchen gebacken, um ihm nach einem harten Arbeitstag eine Freude zu machen. Die Tür knallte – und eine Minute später betrat er die Küche.
„Hallo. Isst du noch was?“, fragte sie und versuchte, seinen Blick zu erwischen.
Viktor setzte sich wortlos an den Tisch. Anja bemerkte sofort: Irgendetwas stimmte nicht. Er wirkte verbittert, abwesend. Sie fragte erneut, was los sei, und bekam zur Antwort:
„Wir brauchen einen Test. Einen Vaterschaftstest.“
Zuerst konnte sie es nicht glauben. Dann traf es sie wie ein Schlag. Wie konnte er es wagen? Nach allem, was sie durchgemacht hatten? Er, ihr Viktor, ihre Stütze und Liebe? Und jetzt das.
„Hast du eine Ahnung, was du da sagst?“, flüsterte sie mit zitternder Stimme.
„Was ist denn dabei? Hast du Angst? Dann gibt’s wohl was zu verheimlichen? Wenn du nicht fremdgegangen bist – wo ist das Problem?“
Anja flammte auf:
„Wenn du diesen Test machst, wirst du es bereuen!“
„Aha, alles klar! Ich hatte recht!“
…Sie waren seit ihrem siebzehnten Lebensjahr zusammen. Ein Jahr später hatten sie geheiratet. Anjas Eltern hatten sie streng erzogen: keine Beziehungen vor der Ehe. Viktor war stolz darauf gewesen. Doch seine Familie war anderer Art.
Sein Bruder Steffen drückte sich vor den Unterhaltszahlungen. Und Viktors Mutter, die schon mehrere Ehen hinter sich hatte, prophezeite ihrem Sohn von Anfang an Enttäuschung. Nach der Hochzeit versteckte sie ihre Verachtung für die Schwiegertochter nicht.
Als Selina zur Welt kam, strahlte Viktor vor Glück. Doch die Schwiegermutter betrat das Krankenzimmer, musterte das Mädchen und sagte kühl:
„Die sieht nicht nach uns aus.“ Und ging.
Sie nahm ihre Enkelin nicht einmal auf den Arm. Damals schenkte Anja ihren Worten keine Bedeutung. Ein Fehler.
Viktor distanzierte sich immer mehr. Oft mürrisch, gereizt. Er weigerte sich, auf das Kind aufzupassen – mal zu müde, mal beschäftigt. Wochenlang herrschte eine bedrückende Stille in ihrem Zuhause.
Als Anja die Nerven verlor und direkt nachfragte, was los sei, bekam sie wieder dieselbe Antwort:
„Wir brauchen den Test. Sie sieht weder nach mir noch nach dir aus. Wer ist ihr Vater?“
Es war kein Verdacht mehr. Es war eine Anschuldigung.
„Ich habe nichts getan, was so etwas rechtfertigt“, sagte Anja. „Ich stimme diesem Test nicht zu.“
„Dann hast du also wirklich etwas zu verbergen! Mama hatte Recht!“
Er schrie, lief im Zimmer hin und her, verlangte Geständnisse. Anja zitterte vor Verletzung und Angst. Alles, woran sie geglaubt hatte, brach vor ihren Augen zusammen.
Sie rief ihre Mutter an:
„Holt uns ab. Ich kann hier nicht mehr bleiben.“
Eine halbe Stunde später standen ihre Eltern vor der Tür. Sie packten die Sachen, nahmen ihre Tochter und die Enkelin mit. Die ganze Fahrt über herrschte Schweigen. Zu Hause sagte der Vater:
„Mir hat diese Familie von Anfang an nicht gepasst. So etwas zu unterstellen – ohne Grund. Dafür gibt es keine Entschuldigung.“
Die Mutter stimmte zu:
„Wenn ein Mann Beweise für Treue verlangt, dann ist er kein Mann. Er ist ein Verräter. Wir stehen zu dir, mein Kind. Du bist nicht allein.“
Anja hatte bereits ihre Entscheidung getroffen. Ihre Schwiegermutter hatte Viktors Denken vergiftet, aber er selbst hatte die Wahl getroffen. Er hatte Fremden geglaubt – statt der Frau, mit der er das Bett teilte.
Dann kam Viktor zur Besinnung. Er bat sie, zurückzukommen. Behauptete, ihr Verhalten bestätige seine Zweifel.
„Schämst du dich? Laufst du weg? Also gibts einen Grund!“
Gemeinsame Bekannte versuchten, ihm klarzumachen, dass er falschlag. Doch er hörte nicht zu. Für ihn war ein Test völlig normal. Nur hätte sie sofort zustimmen müssen. Dass sie sich weigerte, war für ihn „Beweis genug“.
Anja wollte erst einfach gehen und vergessen. Sollte er sein Vaterrecht verlieren. Ihr und ihrer Tochter würde es ohne diese Demütigung besser gehen.
Doch dann änderte sie ihre Meinung. Freundinnen überzeugten sie: Wehr dich. Sie ging vor Gericht. Er wollte einen Test? Soll er ihn bekommen. Doch sie reichte eine Gegenklage ein – auf Entzug des Sorgerechts. Wegen unwürdigen Verhaltens. Und sie war vorbereitet: Gutachten, Zeugen – alles war da.
Die Schwiegermutter triumphierte: „Endlich kommt die Wahrheit ans Licht!“ Doch sie freute sich zu früh.
Der Test bestätigte: Selina war Viktors Tochter. Doch dann traf ihn der wirkliche Schlag – das Gericht gab Anjas Gegenklage statt. Viktor verlor nicht nur seine Frau, sondern auch rechtlich seine Tochter.
„Hast du das gewollt, Viktor? Hat Mama dich überredet? Nun, freu dich. Du hast weder eine Frau noch eine Tochter mehr. Ich will nichts mehr von dir hören. Genau wie dein Bruder. Einer wie der andere.“
Anja verließ den Gerichtssaal mit erhobenem Haupt. Sie hatte sich durchgesetzt.
Und Viktor blieb allein zurück. Er saß auf der Bank vor dem Gericht, den Kopf in den Händen. Erst jetzt begriff er, was er angerichtet hatte. Erst jetzt verstand er, wen er verloren hatte. Doch es war zu spät. Viel zu spät.