„Die eigenen Wurzeln, das fremde Gefühl: Ein herzlicher Wunsch nach Nähe“

Meine eigene Tochter empfing mich wie eine Fremde. Dabei wollte ich nur meinen Enkel umarmen…

— Mama, warum kommst du einfach unangemeldet? — rief Franziska schon von der Tür aus, ohne mich auch nur anzusehen.

Ich stellte die schwere Tasche ab, gefüllt mit frischem Gemüse aus dem Garten, selbstgemachten Gurken, Marmelade und einem Stück geräuchertem Schweinefleisch. Ich wollte sie überraschen, ihr etwas Gutes tun, ihr den Alltag erleichtern. Doch statt Freude erntete ich nur genervte Blicke. Kein „Hallo“, kein „Wie war die Fahrt?“ – nur Vorwürfe.

Die Reise war nicht einfach: vier Stunden im Bus mit Umstieg in Erfurt. Mein Rücken schmerzt, die Beine sind schwer, und mein Herz klopft unruhig. Mit einundsiebzig Jahren bin ich keine junge Frau mehr. Die Kinder sind längst ausgezogen, nur mein Mann und ich leben noch in unserem Dorf bei Weimar. Wir beschweren uns nicht, aber die Jahre hinterlassen Spuren. Ich wollte meinen Enkel wiedersehen, also wagte ich die Fahrt. Gedacht hatte ich, sie würden sich freuen. Doch es kam anders.

Mein ältester Sohn, Markus, lebt seit Jahren in den USA. Drei Enkel hat er dort, doch wir sehen sie nur über Videocalls. Zu Besuch kommt er nicht – immer ist etwas Wichtigeres. So oft wir auch bitten, es ändert nichts.

Der mittlere, Stefan, wohnt in München. Auch er hat Familie und Arbeit. Er vergisst uns nicht, nein, aber Anrufe sind selten. Besuche unmöglich – zu teuer, zu weit.

Franziska, die Jüngste, war immer unser Liebling. Ihr wurde alles verziehen, alles nachgesehen… Nach der Scheidung blieb sie allein mit ihrem Jungen. Zunächst lebte sie bei uns, bis sie in der Stadt einen Job fand. Dann nahm sie den kleinen Lukas mit – und seitdem kommt sie kaum noch. Keine Anrufe, keine Briefe, keine Einladungen.

Ich dachte oft an sie. Wie geht es ihr? Wie geht es Lukas? Die Sehnsucht wurde unerträglich. Also entschied ich mich – ich fahre. Wenigstens einen Blick, wenigstens eine Umarmung. Mein Mann wollte mit, doch sein Blutdruck stieg, also blieb er daheim. Ich packte die Tasche, kaufte das Ticket und machte mich auf den Weg.

— Mama, du hättest wenigstens anrufen können! — wieder dieses genervte Gesicht, als wäre ich eine Last.

— Franziska, mein Handy war leer. Ich vermisse euch… Ich mache mir Sorgen, ich wollte Lukas sehen — versuchte ich zu erklären.

— Konntest du nicht warten, bis ich dir schreibe? Warum einfach so?

Aus der Küche roch es nach aufgewärmtem Essen. Meine Tochter hetzte durch die Wohnung, räumte Spielzeug und Laptop weg. Ich stand im Flur wie eine Eindringling und spürte plötzlich: Hier bin ich nicht willkommen.

Dann kam Lukas nach Hause. Ich stürzte auf ihn zu, drückte ihn, küsste seine Wangen. Doch er verzog das Gesicht, wehrte sich, entwand sich mir. Ich fragte nach der Schule, nach Freunden – er murmelte nur etwas und verschwand in seinem Zimmer.

Zum Abendessen gab es eine Hackfleischfrikadelle pro Person, eine Portion Reis und ein paar Gurken. Mir war sofort klar: Geld ist knapp. Ich dachte, ich gebe ihr zum Abschied ein paar hundert Euro – es wäre mir eine Freude gewesen.

Doch nach dem Essen sagte Franziska:

— Wie lange bleibst du?

— Ich dachte, eine Woche… Opa ist krank, er braucht jemanden. Danach fahre ich zurück.

— Dann kaufe ich morgen dein Rückfahrticket. Du verstehst doch, mit der Arbeit ist es gerade stressig, ich habe keine Zeit.

Ein Stich im Herzen. Keinen einzigen Abend verbrachte sie mit mir. Immer hatte sie Termine, hielt ihr Handy wie einen Schild. Ich saß in der Küche und erinnerte mich daran, wie sie als kleines Mädchen mit Zöpfen und ihrem Lieblingsstoffbär zu mir gekrabbelt war.

Dann hörte ich, wie Lukas zu ihr sagte:

— Mama, wann fährt sie endlich weg? Sie nervt, stellt ständig Fragen. Ich hab keine Lust mehr.

Da riss etwas in mir. Still packte ich meine Sachen.

— Mama, was machst du? — fragte Franziska hastig.

— Ich fahre heim. Offenbar war es der falsche Zeitpunkt. Mein Ticket ändere ich selbst. Tut mir leid, dass ich gestört habe.

Am Bahnhof waren die Abendtickets bereits ausverkauft. Ich musste bis zum Morgen warten. Die ganze Nacht saß ich in der Wartehalle. Schlafen? Ich konnte nicht. Ich weinte. Vor Schmerz. Vor Enttäuschung. Weil das Leben sich so grausam wendet. Wir haben alles für die Kinder gegeben. Alles. Und jetzt… jetzt sind wir Fremde. Überflüssig.

Meinem Mann erzählte ich nichts. Zu Hause lächelte ich nur:

— Alles gut. Franziska war lieb. Aber sie hat dich vermisst – darum bin ich früher zurückgekommen.

Jetzt weiß ich: Lass sie gehen. Erwarte nichts. Hoffe nicht. Dränge dich nicht auf. Und mach dir keine Illusionen. Sonst tut es weh. So sehr weh.

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Licht in der Dunkelheit